Bei einem schrecklichen Aufprall hebt das Auto ab, und die Personen in seinem Inneren werden mit ihm zusammen durch die Luft geschleudert. Zwei Züge kollidieren und entgleisen, Menschen fallen aus den Waggons, Zirkus-Löwen brechen aus den zerbrochenen Transportkäfigen. Es handelt sich um ein schweres Zugunglück, das in »Die Fabelmans« mehrfach wiederkehrt. Einmal war sie auf der Kinoleinwand zu sehen, als Teil des Films bei einer Vorführung von Cecil B.
DeMille’s „Die größte Schau der Welt“. Danach wurde sie immer wieder mit Spielzeug nachgestellt und schließlich auf Super-8 aufgenommen und in Endlosschleife abgespielt: eine der spektakulärsten und berühmtesten Szenen der Filmgeschichte. Für ein sechsjähriges Kind, das sie im Kino sieht, ist sie eine Ur-Szene, die es nicht vergessen kann.
»Die Fabelmans« enthält mindestens fünf oder sechs solcher Szenen, die als kleine Kurzfilme eigenständig funktionieren. Sie zeigen eine ganze Welt, mit der Mutter, den Schwestern, der ersten Freundin und schließlich der Highschool-Klasse.
Vor allem aber spiegeln sie die Perspektive eines Heranwachsenden wider, eines jungen Mannes, dessen Horizont sich ständig erweitert und dessen Blick sich zugleich schärft: auf das Kino, den Ort, an dem für ihn die ganze Welt - und auch der Ausweg aus ihr - zusammenläuft.
Spielberg hatte bisher noch nie einen offen autobiografischen Film gemacht. »Die Fabelmans« ist jetzt genau das: Hier berichtet er von seiner Person, seiner Jugendzeit, seiner Familie, deren Glück und Unglück, sowie von ihren halbverdrängten Traumata, die für den Betrachter dennoch sichtbar sind. Und davon, wie der Sechsjährige, der mit seinen Eltern zum ersten Mal ins Kino geht, zu dem Regisseur Steven Spielberg wurde.
Der Film nimmt nach kurzer Exposition richtig Fahrt auf, mit dem nun jugendlichen Sammy Fabelman (Gabriel LaBelle), der kleine Super-8-Geschichten dreht und sich selbst das Regieführen beibringt.
Sammy ist der einzige Sohn in dieser besonderen Familienkonstellation, während Reggie, Natalie und Lisa seine drei Schwestern sind. Ihr Porträt bleibt jedoch im gesamten Film leider sehr blass. Die Eltern sind wohlwollend und unterstützen die Kinder - insbesondere den Sohn - nach besten Möglichkeiten. Gleichzeitig ist die Ehe alles andere als leicht: Vater Burt, ein Pionier in der Computerbranche, arbeitet viel und ist ständig abwesend.
Außerdem zieht die Familie aufgrund der beruflichen Laufbahn des Vaters häufig um. Mitzi, die Mutter, leidet darunter, dass sie ihre Karriere als talentierte Konzertpianistin zugunsten ihrer Ehe aufgegeben hat. Sie ist für den Sohn der wichtigste Bezugspunkt, vielleicht weil sie selbst künstlerische Ambitionen hatte.
Auf der einen Seite die Liebe zum Kino, auf der anderen eine bittersüße Beziehung zu seinen Eltern: Mit „Die Fabelmans“ gewährt Spielberg einen Einblick in seine Seele und seine komplizierte Gefühlswelt. Das autobiografische Drama der Hollywood-Ikone wurde für diese Ehrlichkeit mit sieben Oscar-Nominierungen ausgezeichnet, darunter in den Kategorien „Bester Film“ und „Beste Regie“.
Auch die Filmpresse ist von „Die Fabelmans“ sehr beeindruckt. 92 Prozent der Kritiken auf Rotten Tomatoes sind positiv, und Redakteur Michael Bendix von FILMSTARTS vergab eine hervorragende Bewertung von 4,5 Sternen. Der Film wird dort als „zutiefst ehrliche Schmerzbewältigung“ charakterisiert.
Doch offenbar war „Die Fabelmans“ einigen zu ehrlich: Obwohl Spielberg normalerweise selbst mit schwereren Themen beim Publikum Erfolg hat, flopte seine neueste Regiearbeit an den Kinokassen. In Deutschland wurden zum Beispiel nur etwas weniger als 166.000 Tickets verkauft. Und um die kalten Zahlen hinter uns zu lassen und, im Einklang mit dem Film, zu anekdotischen, großen Gefühlen überzugehen:
Es war dem Autor dieser Zeilen bisher nie vergönnt, einen derart heftigen Rückschlag vonseiten der negativ eingestellten Minderheit bei einem Spielberg-Film mitzuerleben! In der Regel sind die ablehnenden Stimmen zu Spielberg-Regiearbeiten zurückhaltend. Bei „Die Fabelmans“ reagierten jedoch einige Personen geradezu allergisch auf die zuckrig-tragische Sentimentalität, Michelle Williams' großäugig-exzentrische Darbietung und die getragenen Gefühle.
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